AUSSTELLUNGEN / EXHIBITIONS

Halt die Ohren steif! / Keep a Stiff Upper Lip!

Gundula Schulze Eldowy & Robert Frank in New York

27. April bis 4. August 2024

Eröffnung / Opening: Sa/Sat, 27. Aopril 2024, 15 Uhr im Rahmen des Rundgangs der SpinnereiGalerien / during the Tour of The SpinnereiGalleries  (27. & 28.4.2024)
So/Sun, 28. April 2024, 14 Uhr: Künstlerinnengespräch mit / Artist talk with Gundula Schulze Eldowy mit anschließender Signierstunde / followed by a book signing
Museumsnacht / Night of Museums: Sa/Sat, 4. Mai 2024, 18-24 Uhr

Short English information below

DEU

Gundula Schulze Eldowy (*1954) begegnete Robert Frank (1924–2019) zum ersten Mal 1985 in Ostberlin. Der damals 61-jährige war bereits eine Legende der Fotografie des 20. Jahrhunderts. Sein Bildband „The Americans“ von 1958 gilt als Paukenschlag der Fotokunst. Mit seiner Leica hielt er den USA in genialen Schnappschüssen einen Spiegel vor, zeigte seine Faszination für den American Way of Life, aber auch seine Schattenseiten. Der New Yorker mit Wurzeln in Deutschland und der Schweiz weilte in Westberlin, um den Dr.-Erich-Salomon-Preis zu empfangen und eine Einzelausstellung im Amerikahaus zu eröffnen. Gundula Schulze Eldowy war damals 31 Jahre alt. Sie hatte ihr Studium der Fotografie 1984 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig abgeschlossen. Doch ihre Vorbilder hatte sie bereits im unerreichbar fernen New York gefunden, den Fotografen Paul Strand (1890-1976) und die Fotografin Diane Arbus (1923-1971). Beide sind für ihre sozialkritischen Aufnahmen bekannt. Außerdem zählte sie den für die Straßenfotografie stilprägenden Franzosen Henri Cartier-Bresson (1908-2004) zu ihrem Leitstern, den sie 1988 in Ostberlin ebenfalls persönlich kennenlernen durfte. Gundula Schulze Eldowy lebte damals im Zentrum Ostberlins. Sie machte schonungslose Aktaufnahmen und porträtierte einfache Menschen im verwahrlosten Altberliner Milieu des Scheunenviertels. Ihre Fotografien widersprachen der idealisierten Bildwelt des Sozialismus. Bei aller schockierenden Direktheit ihrer Aufnahmen, bewahren die Porträtierten jedoch Würde und die Bilder wirken durchaus poetisch. Anlässlich des Besuchs von Robert Frank in Ostberlin versammelte sich die ostdeutsche Fotoszene, um ihm ihre Bilder zu zeigen. Eine Fotografie von Roger Melis (1940-2009) hält den Moment fest, wie Frank die Abzüge von Schulzes Serien „Aktportraits“, „Arbeit“ und „Tamerlan“ betrachtet. Er soll erstaunt bemerkt haben „You’ve got eye!“ und fragte sie: „Möchtest du eine Ausstellung in New York haben?“

Dieses Treffen markierte den Beginn einer Freundschaft, in der sich die Fotografin zum ersten Mal als Künstlerin verstanden und ernstgenommen fühlte. Sie blieben in Kontakt. Doch das war in der zweigeteilten und verfeindeten Welt nicht so einfach, wie es sich heute anhört. Die Briefe und Fotoabzüge mussten von einem westdeutschen Bekannten durch die Mauer in den Westen geschmuggelt und versandt werden. Als ein Brief von Gundula Schulze Eldowy an Robert Frank während einer Grenzkontrolle bei ihrem Boten entdeckt wird, beginnt die Staatsicherheit gegen sie den Vorwurf der CIA-Spionage zu konstruieren. Ihre Fotografien weckten damals in der DDR erste Aufmerksamkeit. Der große Publikumserfolg einer Ausstellung 1988 in einer Berlin Galerie überraschte die Künstlerin selbst. Trotzdem sah sich Gundula Schulze Eldowy in Ostberlin zunehmend isoliert und beobachtet. Sie fürchtete verhaftet zu werden. Aus Angst um ihr Werk begann sie ihre Fotografien und Negative zu verstecken. Robert Franks Zuspruch und Anerkennung ihrer Kunst war in dieser Zeit ihre Stütze: „Du bist eine starke Künstlerin und das muss man beschützen; nicht kaputt gehen lassen.“ (18.12.1986) „Hoffe, dass Du einen Pass bekommst, sag denen, Du hast einen ONKEL IN AMERIKA.“ (24.6.1988) Er vermittelte den Kontakt zu seinem Galeristen und Ausstellungen ihrer Fotografien und lud sie wiederholt, aber vorerst zwecklos, nach New York ein. Auch wenn sie ab 1988 die DDR z.B. für Ausstellungen in Zürich und Amsterdam verlassen durfte, blieb New York City immer noch unerreichbar fern. Dafür hatten die beiden Künstlerfreunde jetzt die Möglichkeit sich wiederholt in Westberlin zu sehen.

Die Friedliche Revolution 1989, der Zusammenbruch des sowjetischen Blocks und die Wiedervereinigung 1990 waren auch für Gundula Schulze Eldowy ein Befreiungsschlag. Im April 1990 folgte sie endlich Franks Einladung nach New York City – in die damalige Welthauptstadt der Avantgardekunst. Sie wurde in Franks Künstlerfamilie aufgenommen, als wäre es ihre, erkundete mit unterschiedlichen Kameras den Sehnsuchtsort New York und traf Berühmtheiten, als wären es alte Bekannte. Aus diesen glücklichen Tagen stammt eine Notiz von Frank an Schulze Eldowy: „Keep a Stiff Upper Lip,“ sinngemäß: Halt die Ohren steif! Nach einem kurzen Aufenthalt in Westdeutschland beschloss Schulze Eldowy endgültig nach New York zu ziehen, wo sie bis 1993 lebte. Sie arbeitete hier intensiv an ihrer Fotografie, öffnete sich neuen Techniken wie Polaroid und Video und künstlerischen Ausdrucksformen wie dem Schreiben. „Ich bin in New York ein vergeistigter Mensch geworden,“ stellte sie fest und „Poesie ist die einzige Sprache des Geistes.“ Sie hatte Erfolg und zahlreiche Ausstellungen in Galerien und Museen in New York, Berlin und weltweit. Das Museum of Modern Art (MoMA) kaufte unter anderem ihre Serie „Waldos Schatten“ (1990) und hängte ein Bild davon in seine Dauerausstellung neben Yves Klein (1928-1962), Pablo Picasso (1881-1973), Alberto Giacometti (1901-1966) und Kiki Smith (*1954). Doch New York war für sie keineswegs der Endpunkt der Entwicklung, eigentlich nur der Aufbruch. Die nächsten wichtigen Stationen für sie hießen Ägypten und Peru, wo sie seit 2000 lebt.

Kern dieser Ausstellung sind vier Fotoserien von Gundula Schulze Eldowy, die zum Großteil zwischen 1990 und 1993 in New York City entstanden sind. „Halt die Ohren steif“ (1990-1993) lässt uns in Robert Franks Leben in der Bleecker Street in Manhatten eintauchen, macht uns bekannt mit seiner Frau, der Bildhauerin June Leaf (*1929) und seinem Sohn Pablo Frank (1951-1994). Sie entführt uns aber auch zu Franks Künstlerfreunden und in die New Yorker Kunstszene, wo Schulze Eldowy den Beatpoeten Allen Ginsberg (1926-1997) und Peter Orlovsky (1933-2010) sowie dem Fotografen Ted Croner (1922-2005) begegnet. Im Auftrag der New York Times porträtiert sie den Theatererneuerer Robert Wilson (*1941), traf die Ikone postmoderner Fotografie Cindy Sherman (*1954) und die Fotografin Ann Mandelbaum (*1945). Diese Fotoserie wird ergänzt durch historische Dokumente aus dieser Zeit und einigen Aufnahmen von F.  C. Gundlach (1926-2021), Roger Melis (1940-2009), Wolfram Adalbert Scheffler (*1956), Helfried Strauß (*1943), Hans Witschi (*1954) und Krzysztof Wójcik.

Mit „In einem Wind aus Sternenstaub“ (1990-1993) fing Schulze Eldowy mit ihrem an Street und Straight Photography geschulten Blick die Härte und Absurdität des Lebens auf den Straßen und an öffentlichen Orten von New York ein. Die Stills und Polaroidserien von „Windrose & Mangoblüte“ (1991-1993) dokumentieren in zahlreichen Porträts und Straßenszenen schon einen Wandel im Verständnis der Fotografie, die Schulze Eldowys New Yorker Erfahrung bei ihr auslöste. „Fotografen sind Blinde,“ meint Gundula Schulze Eldowy kritisch über ihre Zunft. „Sie begreifen nicht, dass hinter der Oberfläche noch etwas anderes existiert.“ Schulze Eldowy suchte nach Wegen, durch die Oberflächen hindurch tiefer zu blicken. Sie experimentiert mit Mehrfachbelichtungen, Überblendungen, außergewöhnlichen Farben und Bildausschnitten. Mitunter wird die Textur der Fotochemie zum gestalterischen Element.

Dieser neue Blick auf das Licht und durch die Oberflächen hindurch findet seinen klaren Ausdruck in der Serie großformatiger, farbiger Fotografien „Spinning on my Heels“ (1990-1993). Gundula Schulze Eldowy nimmt uns mit auf einen ausschweifenden Tanz durch New Yorks Straßen und Parks. Aufgenommen im gleißenden Licht und den leuchtenden Farben der Metropole entsteht hier ein Spiegelkabinett aus Alltag, Werbung, Popkultur, Kunstgeschichte und Geschlechterbildern. Hier offenbarte sich der Künstlerin: „Es gibt überhaupt keine starre objektive Realität. Realität ist fließend.“  Als kaleidoskopisch-poetischen Psychotrip setzt das Video „Diamantenstraße“ (1993/2018) diesen Reigen filmisch fort. Das Video „Die Frau am Kreuz“ (1993/2020) verleiht nach 30 Jahren der Protagonistin der Fotoserie „Tamerlan“ (1979-1987), Elsbeth Kördel, eine Stimme. Es bildet in dieser Ausstellung eine Zeitschlaufe, denn ihre Bilder gehörten zu den Aufnahmen, die Gundula Schulze Eldowy 1985 Robert Frank zeigte.

Teil dieser Ausstellung sind einige weltberühmte Aufnahmen aus Robert Franks Band „The Americans“ sowie experimentelle Fotografien aus den späten 1970ern, die von Franks kompromisslosen künstlerischen Voranschreiten erzählen. Dabei handelt es sich um eine Eigenschaft, die das Werk Robert Franks und Gundula Schulze Eldowys verbindet und ein Stützpfeiler ihre Freundschaft gewesen sein mag.

Literatur:

Akademie der Künste (Hrsg.): Halt die Ohren steif! Gundula Schulze Eldowy und Robert Frank, Berlin 2024

Robert Frank: The Americans, Göttingen 2008

HALLE 14 – Zentrum für zeitgenössische Kunst (Hrsg.): Robert Frank, Books and Films 1947-2016, München/Göttingen/Leipzig, 2016

Galerie Pankow (Hrsg.): Gundula Schulze Eldowy, Mangoblüte & Windrose. Polaroids, Stills & Filme 1991-2004, Berlin 2021

Gundula Schulze Eldowy: Berlin in einer Hundenacht, Leipzig 2024

Weitere Informationen unter www.gundula-schulze-eldowy.com

ENG
When East German photographer Gundula Schulze Eldowy and Swiss-American photographer Robert Frank (1924–2019) met in East Berlin in 1985, it was the beginning of an intense artistic friendship. They continued to exchange letters through the Iron Curtain. After the fall of the Berlin Wall, the young photographer accepted the world-famous photographer and filmmaker's invitation to New York City (USA) in 1990. There, Schulze Eldowy's visual aesthetic changes from straight photography to the experimentally poetic. This exhibition gives us insight into this unique dialogue through numerous photographs, films and documents.